Wer kennt heute noch die Geschichte von EDE und UNKU?
Im Stadtmuseum Waren schauten wir uns zwischen den Weihnachtsfeiertagen die informative Ausstellung über Roma und Sinti an:
Doppelausstellung „Sinti und Roma in MV“
So kam es, dass ich mich erinnerte und recherchierte, denn auch in meiner Erinnerung haben wir in den 80er Jahren viele „Zigeuner“ (damals wurde uns dies so gesagt) in der Slowakei gesehen. Dass dieses Wort diskriminierend ist, war uns nie erzählt worden. Doch hätte Aufklärung stattgefunden, dass sie genauso wie die Juden verfolgt und deportiert wurden und den Buchstaben „Z“ eintätowiert bekamen, wären wir schon viel schlauer gewesen und hätten auch mit diesen Menschen Mitgefühl empfunden. Stattdessen wurde diese verschwiegen.
Was bedeutet das Wort Zigeuner?
Zigeuner ist ein im deutschen Sprachraum seit dem 15. Jahrhundert nachgewiesene mehrheitsgesellschaftliche Bezeichnung für Bevölkerungsgruppen und Individuen, denen eine von der Mehrheitsgesellschaft abweichende Lebensweise zugeschrieben wurde. Die etymologische Herkunft ist nicht eindeutig geklärt. Der Begriff wird auf das Altgriechische „Athinganoi“ (eine agnostische Gruppe in Westanatolien), auf das Persische „Cinganch“ (Musiker, Tänzer) beziehungsweise „Asinkan“ (Schmiede) oder auf das Alttürkische „čïgāń“ (arm) zurückgeführt. „Zigeuner“ beinhaltet soziologische und biologistisch-rassistische Elemente. Soziografisch markiert er unterschiedliche soziale und ethnische Gruppen, deren Lebensweise als unstet, deviant und delinquent angesehen wird. Dazu werden neben „Zigeunern“ verschiedene migrierende, nicht Romanes sprechende Gruppen gezählt. Als ethnisierende, genetisch-biologistische Kategorie wird „Zigeuner“ ausschließlich auf Sinti und Roma bezogen. Die Verwendung des Begriffs ist problematisch, weil er sich nicht von den Stereotypen lösen lässt, die er transportiert, und daher diskriminierend wirkt. Zudem war er im Nationalsozialismus eine rassistische Verfolgungskategorie und somit ein Bestandteil des Verfolgungs- und Vernichtungsprozesses.
(c) Karola Fings/Ulrich F. Opfermann 2018
Das Kinderbuch „Ede und Unku“
Als Kind hatte ich das Kinderbuch von Alex Wedding (Grete Weiskopf, Erstausgabe 1931, Malik Verlag) „Ede und Unku“. 1981 erschien der Film dazu „Als Unku Edes Freundin war“. Ich habe das Buch geliebt. Wahrscheinlich weil ich immer schon einen Gerechtigkeitssinn in mir hatte, der auch in Kindertagen sehr untergebuttert wurde. Was da wirklich geschehen ist, habe ich als Kind wohl nicht so recht verstanden.
„Das Buch gehörte zu den Werken, welche bei der Bücherverbrennung 1933 in Deutschland auf dem Index standen und vernichtet sowie verboten wurden. In der DDR wurde es Bestandteil der offiziellen Schulliteratur und erhielt dadurch einen hohen Bekanntheitsgrad. Im Buch werden die authentischen Erlebnisse von Erna Lauenburger beschrieben, welche die Autorin kannte. Sie wurde 1944 in Auschwitz ermordet.
Was mit Unku geschah:
Von den erwähnten Sinti des Buches überlebte nur die Berlinerin „Kaula“ Ansin, eine Cousine Unkus und die Großmutter des Berliner Musikers Janko Lauenberger. Er veröffentlichte seine Version von EDE und UNKU“ – Ede und Unku – die wahre Geschichte. Ein sehenswerter Film „Eine Sinti-Jugend in Deutschland„, Erstausstrahlung am 26.03.2008 / ARD.“
„Wenn ihr Sprengstoff mitbringt, komme ich auch nach Thüringen!“ sagt Janko. Es ist die spontane Reaktion des 31jährigen, als er gebeten wird, noch einmal das Kinderheim für Schwererziehbare zu besuchen. Janko will seine Furcht überspielen mit dem derben Spruch vom Sprengstoff. Vor zwanzig Jahren am 18.11.1987 verfügt ein DDR-Jugendhilfeausschuss die Einlieferung des damals elfjährigen Jungen aus Ostberlin ins Spezialkinderheim nach Bad Langensalza. Isolationsstrategie zur Umerziehung, heißt es in der Begründung. Janko Lauenberger, der Sintu-Junge, wird in der Schule beschimpft: „Saujude, Türke, Zigeuner, Kameltreiber, Kanake“ – sagt ein Mitschüler zu ihm. „Soll ich dir zeigen, wie damals Zigeuner vergast wurden?“, fügt er hinzu und zerrt Janko im Schwitzkasten unter einen Wasserhahn im Chemielabor. Nicht der Mitschüler wird für den Vorfall bestraft, sondern Janko. „Janko stört den Unterricht“, heißt es in den Akten der Staatssicherheit. Davon liest der junge Mann heute erstmals in die Behörde. Die Eltern können 1988 die Einweisung in das Heim nicht verhindern. Später helfen Freunde. Der Autor Reimar Gilsenbach droht die Geschichte des Sintu-Jungen zu veröffentlichen. Ein Brief seiner Frau Hannelore an die Volksbildungsministerin Margot Honecker zeigt Wirkung: Janko darf zurück zu seiner Familie. Spätsommer 2007. Janko fährt noch einmal ins damalige Heim für Schwererziehbare nach Bad Langensalza.
„Das ist das schwärzeste Kapitel meines Lebens“, sagt er. Ihm ist es unangenehm, wenn er darüber spricht, doch er redet. Eigentlich sollte Janko Django heißen. Seine Eltern Lotte und Hans Lauenberger wollen ihm den Namen des großen Sinti-Swing-Gitarristen Django Reinhard geben. Doch diesen Vornamen gibt es im Namensbuch der DDR nicht. Also nimmt man, was so ähnlich klingt – Janko. Gitarre spielt er trotzdem, in der Band des Vaters und des Onkels, bei „Sinti-Swing“. Ende der 80er Jahre eine Kultband in der DDR. „
Vielleicht in Berlin, ich kannte sie bis heute nicht.
Meine Anmerkung: Es fand eine Umerziehung in der DDR statt in Heimen und Schulen für „Schwererziehbare Kinder“. Wir hatten in unserer Schulklasse auch aller paar Monate, so genannte „schwer erziehbare“ Heimkinder und meine Mutti arbeitete an einer Schule für schwer erziehbare Kinder als sie jung war. Sie selbst ließ sich von dort versetzen. Wir könnten uns auch fragen, wer ist überhaupt „erziehbar“ und ist das überhaupt möglich? Der Mensch kann den anderen nicht verbiegen. Das sind merkwürdige Methoden.
Warum bekommen die Sinti und Roma so wenig positive Anerkennung in unserer Gesellschaft?
Anerkennung bekommen wir durch unser Sein und Wirken. Früher waren Sinti und Roma oft Handwerker, Schausteller, Musiker und haben einen großen Beitrag geleistet.
Heutzutage leben sie immer noch am Rand der Gesellschaft. Was hat sich verändert? Wir erleben oft nur einseitige Kommunikation und Berichterstattung: Einen großen Anteil haben die Menschen selbst, die voller Vorurteile sind. Doch auch meine Vorfahren, die Schulen, die Gesellschaft, die Medien haben mich geprägt, indem wir zuwenig über andere Kulturen erfahren haben.
Kamen Roma und Sinti im (Geschichts-)unterricht vor? Die Erwachsenen hatten immer Recht und freie Meinungsäußerung war nicht erwünscht. Inzwischen bin ich alt genug und bilde mir meine eigene Meinung wieder frei und selbstständig. Das war ein weiter Weg. Dennoch bin ich der Meinung, dass Aufklärung immer dazu beiträgt, des Menschen Unwissenheit in Wissen zu kehren. Gut kommt dies auch im Film „Chocolate“ mit Johnny Depp zur Sprache, wo auch dort die „gestrandeten Nomaden“ in Frankreichs Kleinstadt boykottiert werden.
Einige Beiträge auf YouTube habe ich herausgesucht, die recht gut zur Aufklärung beitragen. Die Kommentare darunter sollte keiner lesen. Unverständlich, was so manche Menschen von sich geben. Meine Vorfahren wurden von Westpreußen auch vertrieben und hatten nichts. Wenn ich bedenke, dass diese Menschen permanent auf der Flucht sind, weil sie ausgegrenzt, minderwertig behandelt werden, wen wundern da bestimmte Aussagen der Sinti?
Es gibt doch immer mehrere Seiten und schauen wir uns um, wenn die Menschen in Deutschland nicht Sozialhilfe, heutzutage Bürgergeld genannt, bekämen, wieviele würden ebenfalls in ärmlichen Verhältnissen leben? In Deutschland gehts den Menschen doch viel zu gut, als dass sie dies nachvollziehen können. Wer von uns kann zwei Sprachen perfekt? Ich leider nicht. Doch haben die meisten Sinti kaum eine Chance, sich weiterzubilden oder vielleicht sind sie auch glücklich so. In den meisten Dokumentationen ist es mir so vorgekommen. Wir dürfen uns auch fragen: Wie glücklich bin ich mit all den Dingen, die wir zuviel haben?
Geschichte der Sinti
Geschichte der Sinti und Roma
Auswanderung von Indien/Pakistan nach Europa
Die Geschichte der Sinti und Roma ist eine Geschichte der Verfolgung und der Diskriminierung aufgrund von Vorurteilen. Bereits vermutlich zwischen 800 und 1000 nach Christus wurden sie zur Auswanderung aus ihrer Heimat in Nordwestindien gezwungen, nachdem der afghanische Fürst Mahmud von Ghazni die Regionen Panjab, Sindh und Rajastan erobert hatte und die nun ankommenden arabischen Volksstämme das Land für sich beanspruchten.
Zwischen dem 11. und dem 14. Jahrhundert ließen sich die ersten Sinti und Roma auf dem Balkan, im Mittleren Osten und Osteuropa nieder, um 1500 erreichten sie schließlich auch England, 1715 gelangten sie nach Nordamerika.
„Nennt uns Sinti“
Der lange Weg der Sinti und Roma
Kultur der Sinti und Roma
Musik und Tanz
Die Musik der Roma ist geprägt vom genauen Hinhören und sofortigen Improvisieren. Diese Gabe der Musikalität wird in vielen Familien traditionell bereits im Kindesalter gefördert und entwickelt. Ein Beispiel dafür ist die Musik der ungarischen Sinti und Roma: im früheren Ungarn gab es kein Bürgertum, das geschulte Musiker hervorbringen konnte. Die umherziehenden und musizierenden „Ensembles“ wurden somit als ungarische Nationalmusiker anerkannt.
Die Roma-Musik hat ihre Wurzeln in Indien. Auf ihrem langen Weg nach Europa nahmen die Roma Musikstile anderer Völker auf machten sie sich zu eigen. Rhythmische und melodische Elemente wie zum Beispiel die sogenannte Zigeunertonleiter (Zigeuner-Moll CD-ES-F-G-AS-HC) werden beibehalten. Und die bekanntesten Musikstile der Roma (Flamenco, Swing, Balknabrass) deutlich zu unterscheiden.
Viele Komponisten sind von der Roma Musik beeinflußt worden. So auch der aus dem damaligen Ungarn stammende Komponist Franz Liszt, der ein großer Bewunderer der Virtuosität und Improvisationskunst dieser Musiker war. Er selbst bezeichnete sich als „zur Hälfte Franziskaner, zur Hälfte Zigeuner“. Auch in Spanien haben die so genannten gitanos inzwischen Ruhm erlangt, v.a. im Bereich der Flamencomusik. Die beiden Weltberühmtheiten Paco de Lucia und Camarón de la Isla entstammen beide dem Volk der Sinti und Roma.
Handwerk
Traditionell lagen die Berufe der Sinti und Roma vor allem im handwerklichen Bereich. Wie die musikalischen Fähigkeiten wurden auch handwerkliche Fähigkeiten innerhalb der Familien weitergegeben und gelehrt. Viele Sinti und Roma arbeiteten als Gold- und Kunstschmiede oder waren tätig im Bau von Musikinstrumenten, insbesondere von Geigen. Es gab aber auch Kesselmacher, Sesselflechter, Siebmacher, Messerschleifer und Werkzeugmacher, Schuhputzer, Federsammler und Schrottsammler. Auch als Musiker, Tänzer und Zirkusartist verdienten sie ihren Lebensunterhalt. Als normales Gewerbe galt den Roma auch Betteln und Wahrsagen, meist von Frauen ausgeübt.
Auch die handwerklichen Fähigkeiten verwoben mit den jeweiligen Besonderheiten der Länder, in denen die Sinti und Roma ansässig waren.
DIe meisten dieser Handwerke werden aufgrund der industriellen Massenfertigung, oder aber wegen der Schikanen gegen das Reisgewerbe, heute nur noch selten ausgeübt. Immer mehr Roma sind – sofern sie Arbeit finden – als Fabrikarbeiter oder moderne Handwerker tätig. Oder auch als Händler und Geschäftsleute.
Erzählkultur
Die Erzählungen, die innerhalb der Familien meist durch die Ältesten von Generation zu Generation weitergegeben werden, machen einen wichtigen Teil der Kultur der Sinti und Roma aus. Meist handeln sie von den Erlebnissen und dem Leben als gesellschaftliche (Rand-)gruppe.
Durch die Verfolgung im Nationalsozialismus erlitt die Erzählkultur der Sinti und Roma jedoch einen starken Bruch. Der Völkermord hat fast eine ganze Generation ausgelöscht, so dass es nur noch sehr wenige alte Menschen gibt, die Geschichten an ihre Kinder und Enkel weitergeben können. Zum anderen werden die Geschichten oftmals durch die Erfahrungen des Holocaust bestimmt und überdecken damit frühere Erzählgungen.
Sprache
Die gemeinsame Sprache ist das Romanes, das eng mit dem alten Sanskrit verwandt ist. Das Romanes war bis zum 20. Jahrhundert eine rein mündliche Sprache und hat bis heute keine geschriebenen Regeln, auch wenn es in verschiedenen Regionen Europas Vorhaben gab und gibt, Romanes zu verschriftlichen, nicht immer unter Beteiligung der Betroffenen.
Romanes hat im Laufe der Jahrhunderte und aufgrund der Wanderwege unterschiedliche Dialekte entwickelt.. So spricht man zum Beispiel von einem „deutschen Romanes“ oder einem „ungarischen Romanes“. Einige Roma-Gruppen haben im Verlauf der langen Geschichte, vor allem aber der Ausgrenzung und der versuchten Zwansassimilierung wegen, ihre Sprache verloren.
Einige bekannte Roma, u. a. Yul Brunner: Er war Ehrenpräsident der International Romani-Union und spielte in den 1970er Jahren eine aktive Rolle bei den Bestrebungen der Roma, sich international zusammenzuschließen und internationale Anerkennung zu finden.
Dazu lesenswert ist auch die Broschüre: „Sinti und Roma in Mecklenburg und Vorpommern„, welche ich mir heute bestellt habe.
Wissen ist Macht und bringt Verständnis hervor. Von daher kann ich jedem Menschen raten, zu lesen, zu recherchieren und nicht ahnungslos nachzuplappern, was aufgeschnappt wurde. Um sich selbst eine Meinung zu bilden, dürfen wir selbst Erfahrungen machen und immer alles hinterfragen, was uns vorgesetzt wird.
Maren Martini,
Tessin, 12. Januar 2025